Die Sonne strahlt auf den Bielersee. Aber ein rauer Wind bläst auf dem Milan, einem der Schiffe des Rettungsdienstes Bielersee (RDB). Wir befinden uns in Tüscherz, am Nord ufer, im ersten Drittel des Sees. Marc Baumgartner steigt in den Tauchanzug, montiert Flossen, Tauchbrille und Pressluftflaschen. Gut 30 Kilogramm ist seine Ausrüstung schwer. Er stösst sich vom Bootsrand ab und taucht mit seinem Kollegen Andreas knapp vier Meter in den See hinunter, zum Schiffs-Bojenstein der Familie Peter. Kurz darauf taucht Marc wieder auf, hievt die Kette an Bord. Der Zahn der Zeit hat tüchtig an ihr genagt, sie muss ersetzt werden. Nun übernehmen Marcs Kollegen Tom und Ruedi, die beiden Matrosen: Mit einer Riesenzange trennen sie acht Meter Kette ab. Sie befestigen sie an der neuen, mit frischer Luft gefüllten Boje. Noch einmal taucht Marc ab – jetzt, um die Kette am Bojenstein zu befestigen.
Ein typischer Einsatz für den RDB. Denn an diesem Ufer findet ein Generationenwechsel statt: Wie Thomas und Cordula Peter wollen etliche, die an diesen traumhaften Ort ziehen, mit eigenem Boot oder Schiff in See stechen und sicher gehen, dass Besucher hier anlegen können, ohne dass ihr Schiff zum Treibgut wird. Denn dann würde eine gesalzene Rechnung ins Haus flattern.
Jeweils übers Wochenende übernimmt, als Ergänzung zur Seepolizei, ein Team aus fünf RDB-Mitgliedern den Pikettdienst: zwei Taucher, zwei Matrosen und ein Bootsführer. Fünfzig Leute leisten in dieser Form alle fünf bis sechs Wochen Freiwilligeneinsätze, darunter auch mehrere Frauen. Sie müssen über ein SLRG- oder über ein Tauchbrevet verfügen.
Erleichtert an Bord
Hauptaufgabe aber ist nicht das Prüfen und Wechseln von Bojen. Dies ist vielmehr ein Zustupf für die Vereinskasse (vgl. Box) und eine Beschäftigung, solange es auf dem See ruhig ist. Nein, das Team soll möglichst bald vor Ort sein, wenn zum Beispiel ein Segler in Seenot gerät oder der Motor eines Bootes seinen Geist aufgibt. Darum hat Marc immer ein Ohr bei Funk und Telefon: Um sich sofort zu den Menschen in Not zu begeben. «Das geschieht immer wieder. Vor allem am Abend, wenn hier ein Bergwind manchmal böenartig bläst und den Seglern nach dem x-ten Aufstellen die Kräfte schwinden», erklärt Marc. In lebendiger Erinnerung ist ihm die Kajakfahrerin, die von heftigem Wind in den See hinaus getrieben wurde. «Sie war enorm erleichtert, als wir sie an Bord nahmen.»
Viel Adrenalin floss auch, als von einem Moment auf den anderen – das Team sass gerade beim Kaffee – die Meldung kam, ein Kind, das am Seeufer gespielt habe, werde vermisst. «Dann muss man mit allem rechnen. Darum suchten wir sorgfältig und intensiv das Wasser ab. Zum Glück kam bald Entwarnung: Das Kind wurde unversehrt gefunden – an Land.»
Da gibt es aber auch die leichteren, amüsanten Fälle: Wenn jemand aus Versehen die Nähmaschine im See versenkt, eine Person drei Mal dieselbe wertvolle Uhr ins Wasser fällt oder jemand seine Schlüssel im Wasser vermutet – sich dann aber herausstellt, dass er sie zu Hause liegengelassen hat. Auch Handys und ein Gebiss haben die Taucher schon an Land geholt. «Es freut uns, dass wir helfen können», sagt Marc mit einem Schmunzeln. Mit dem Geld, das die Leute aus Freude über die wieder gefunden Dinge springen lassen, wird ein gutes Essen für alle Pikettleute finanziert.
Ein halbes Leben auf dem See
Der RDB nimmt im Leben von Marc einen gewichtigen Platz ein. Nicht erst, seit er Präsident ist. Seit siebzehn Jahren leistet er Pikettdienst – sein halbes Leben. Mit dabei war er bereits vorher, als kleiner Junge, denn auch sein Vater war einst auf dem See im Einsatz. «Ich bin manchmal mit Kollegen unterwegs, die mich als Kind auf dem Schoss hatten. Ich habe hier viele Kollegen, der RDB ist für mich eine Art zweite Familie.»
Die meiste Zeit hat er sich im Vorstand engagiert: in mehreren Kommissionen, als Redaktor des Vereinsbulletins sowie als Vizepräsident. Er machte das Brevet I der SLRG, wurde Matrose und Schiffsführer; meist ist er als Taucher im Einsatz. «Jedes Mal in einem anderen Team zu arbeiten, das ist sehr spannend und lehrreich. Und es ist toll, einen Beitrag zur Sicherheit auf dem See leisten zu können.» Diese Gewissheit ist es ihm wert, zwischen Frühling und Herbst immer ein paar Wochenenden ohne seine Frau und seine fast zweijährige Tochter zu verbringen und auch unter der Woche etliche Stunden Zeit in Administratives und Organisatorisches zu stecken – das alles nebst seinem Fulltime-Job als Projektleiter zur Entwicklung von Werkzeugmaschinen.
Marc blickt auf das Blau des Sees und gleitet mit seinen Augen der Jurakette entlang, während ihn die Sonne mit Wärme verwöhnt und der Wind ihn erfrischt. «Solche Momente sind Teil des Lohnes. Da tanke ich Kraft.»
Aber bald schon geht es weiter: Auch beim Nachbarn der Familie Peter muss die Kette sowie die Boje ersetzt werden. Es gibt also noch einiges zu tun, bis sein Pikettdienst, der bereits seit 9 Uhr dauert, um 19 Uhr zu Ende ist.